Samstag, 16. August 2014

Chicago

Hallo Freunde,

das Chicago der 20er Jahre, als der traditionelle Jazz seine Hochblüte erlebte, war bekanntlich alles andere als eine liebenswerte Stadt. Zwischen dem Flair von New Orleans und der materialistischen Kälte der Windy City lagen Welten. Chicago war Industrie- und Handelsstadt, Verkehrsknotenpunkt und - der Schlachthof Amerikas. Dort suchten Zuwanderer aus der ganzen Welt und viele Schwarze aus den Südstaaten ihr Glück. In den 20er Jahren errangen Gangstersyndikate die Kontrolle über Teile der Stadt, lieferten sich blutige Gefechte untereinander und mit der Polizei. In der Rückschau wurden diese Zustände teilweise romantisierend verklärt. Der Jazz von King Oliver, Louis Armstrong und Jelly Roll Morton wurde Teil dieses wirklichkeitsfremden Gemäldes. Dabei ist es doch sehr wahrscheinlich, dass die Hot-Musik der Jazzgrössen ebenso dazu diente, die unbarmherzige Wirklichkeit zu verdrängen, wie der exzessive Alkoholkonsum, dem Gangster wie Al Capone ihren Reichtum verdankten, indem sie die Prohibition aushebelten. Dass im Ergebnis in dieser Zeit die grossartigsten Werke des traditionellen Jazz entstanden, steht dazu nicht im Widerspruch.
Chicago war seinem Wesen treu geblieben. Frederika Bremer, die von 1849-1851 Nordamerika und Kuba bereiste und ein Reisetagebuch in Briefen veröffentlichte, schrieb schon damals:
"Chicago ist eine der unangenehmsten und garstigsten Städte, die ich noch in Amerika gesehen habe, und verdient ihren Namen "Königin der Binnenseen" ganz und gar nicht. Denn so wie sie da am Ufer des Sees in grobem Negligé sitzt, gleicht sie mehr einer Trödlerin als einer Königin. Gewiss ist, dass die Stadt meist aus Kaufbuden zu bestehen scheint. Man sieht beinahe kein schönes Landhaus mit Gärten in oder außer der Stadt - was sonst in anderen Städten so gewöhnlich ist - und auf den Straßen meistens Bretterhäuser auf bretterbelegten oder breiten, sonnigen Straßen ohne Bretter. Und man sieht es an allem, dass die Leute hierher kommen, um zu handeln, um Geld zu machen, nicht aber um zu leben".
Letztendlich kamen auch die Jazzmusiker in die Stadt, um Geld zu verdienen. Und das war schwer genug. Viele hatten Abend für Abend mehrere Engagements hintereinander, um über die Runden zu kommen. Viele wurden nicht alt. Von Romantik also keine Spur. Auch der Jazz frass seine Kinder.....

www.ok-jazzband.de - CD "Tribute to Jelly Roll Morton" (iTunes, amazon)

Soviel für heute.
Herzlich Euer
Heribert von Stomp

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen