Donnerstag, 4. Dezember 2014

Spanish Tinge

Hallo Freunde,

der "St. Louis Blues" von W. C. Handy, über den ich die beiden vergangenen Beiträge geschrieben habe, wurde auch deshalb so populär, weil er das zwölftaktige Bluesschema auflockerte. Neben den beiden Bluesteilen gibt es ja auch den berühmten 16-taktigen Mittelteil, der in Moll steht und ausserdem mit karibischem Rhythmus unterlegt ist. Man kann den Rhythmus auch als südamerikanisch oder spanisch, als Habanera oder Tango bezeichnen - im zweiten Jahzehnt des vergangenen Jahrhunderts, als der "St. Louis Blues" in die Welt hinaus ging, war er sehr populär. Im Notenbild dargestellt wird er häufig in der Metrik 3/8 - 3/8 - 2/8. Jelly Roll Morton bezeichnete diesen Rhythmus als "Spanish Tinge". Er prägt einige seiner Stücke. Wie populär dieser Rhythmus war, zeigt sich daran, dass Morton`s erste veröffentlichte Komposition, der "Jelly Roll Blues", ebenfalls dieses Merkmal aufweist. Der "Jelly Roll Blues" erhielt sein Copyright bekanntlich ungefähr ein Jahr nach dem "St. Louis Blues", am 22. September 1915. Der "Jelly Roll Blues" besteht ja aus zwei Teilen, der erste in Bb-Dur, der zweite, nach einer viertaktigen Überleitung, in Es-Dur geschrieben. Der einleitende Chorus des zweiten Teils ist mit dem "spanischen" Rhythmus unterlegt.
Beide Teile des "Jelly Roll Blues" sind ja von der Zahl der Chorusse her ungefähr gleichgewichtig, wie die späteren Einspielungen zeigen.
Die erste Klavierausgabe ignoriert allerdings diese Intention. Sie umfasst zwar die drei von Morton ausgearbeiteten Blues-Chorusse des ersten Teils, der zweite, von Morton ebenfalls über mehrere Chorusse ausgearbeitete Teil wird aber in der Wiedergabe auf den genannten "spanischen" Chorus reduziert. Was war die Ursache? Die einfachste Erklärung wäre, dass die weiteren Chorusse des zweiten Teils von Morton erst später geschrieben wurden, so wie man sie dann aus seinen diversen Einspielungen kennt. Das glaube ich allerdings nicht. Denn für Jelly gehörte es  dazu, ein Stück, das mit einem "spanischen" Rhythmus beginnt, am Ende im Two-Beat-Stomp-Rhythmus zu seinem Höhepunkt zu führen. (Eine Ausnahme bildete etwa der "Dead Man Blues", der den einleitenden rhythmuslosen Moll-Teil am Ende wieder aufnimmt. Ich rede hier von der Piano-, nicht von der Orchestereinspielung). Ich denke, der Grund war ganz banal. Mit dem gedruckten ersten Chorus des B-Teils umfasste die Klavierausgabe komplette drei Seiten. Weitere Chorusse hätten den Druck einer vierten Seite bedeutet. Und das war dem Verleger Will Rossiter wahrscheinlich wirtschaftlich zu riskant. Ohnehin scheinen von der Druckausgabe nicht allzuviele Exemplare verkauft worden zu sein. Jedenfalls gilt sie heute als Rarität. Grundsätzlich aber zeigt sich an den Beispielen "St. Louis Blues" und "Jelly Roll Blues", dass die Pioniere des Jazz schon frühzeitig nach Möglichkeiten Ausschau hielten, die Ausdrucksformen ihrer Musik zu erweitern.........

www.ok-jazzband.de - CD "Tribute to Jelly Roll Morton" (iTunes, spotify, amazon)
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Soviel für heute.
Herzlich Euer
Heribert von Stomp

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