Samstag, 27. September 2014

Jelly Roll Morton - Freakish II

Hallo Freunde,

heute also, wie am 20. September angekündigt, die Fortsetzung zu "Freakish". James Dapogny, der verdienstvolle Herausgeber vieler Mortonscher Kompositionen, hat zu dem Titel ein differenziertes Verhältnis. In seiner Edition "Ferdinand `Jelly Roll` Morton - The Collected Piano Music" bezeichnet er "Freakish" gemeinsam mit dem Stück "Pep" als "more conventional three-strain pieces" (Seite 259). In der harmonischen Gestaltung (siehe dazu meinen Beitrag vom 20.09.2014) erkennt Dapogny dagegen Morton`s Intention, sich mit einem "modernen" Werk als Komponist auf der Höhe der Zeit und den New Yorker Jazzgrößen - dort residierte Jelly seit 1928 - ebenbürtig zu präsentieren (Seite 365). "Freakish" wäre somit eine auch zeitlich unmittelbare Antwort auf die in der New Yorker Szene vorangetriebene Entwicklung des Jazz.
Da bin ich ausnahmsweise einmal anderer Meinung als James Dapogny. Er selbst weist ja auf den Widerspruch hin: das Stück ist formal eher konventionell,zeigt aber eine scheinbar "moderne" Harmonik. Die Harmonik von "Freakish" hat ja, wie von mir dargestellt, zwei Besonderheiten:
es handelt sich zum einen um Nonen-Akkorde, die, zum anderen, chromatisch absteigen. Chromatik an sich ist aber für Jelly nicht ungewöhnlich. Ich erinner nur an den "Frog-I-More Rag" mit seinen chromatisch - ebenfalls über vier Takte - aufsteigenden Septakkorden, ebenfalls im ersten Teil. Dieser Rag(!) wurde schon 1918 zum Copyright angemeldet. Im Unterschied zu "Freakish" allerdings sind die aufsteigenden Akkorde beim "Frog-I-More Rag" rhythmisch parallel angeordnet. In beiden Fällen aber fehlt der Two-Beat-Bass.
Bleiben also die Nonen-Akkorde. In der Sheet-Music-Ausgabe des "Japanese Sandman", eines Top-Hits von Richard A. Whiting, findet sich als Vorspiel eben die Nonenfolge aus "Freakish", in einer ähnlichen rhythmischen Verschiebung. Das Vorspiel im "Japanese Sandman", das im weiteren Verlauf des Songs keine Entsprechung hat, dient hier offenbar dazu, die entrückte Traumstimmung für den Kontext herzustellen: "Here`s the Japanese Sandman, sneaking on with the dew. Just an old second hand man, he`llbuy your old day from you". Soweit das Zitat aus dem Text von Raymond B. Egan. Die chromatisch absteigenden Nonen dienen also zur Einstimmung auf ein exotisch angehauchtes Schlaflied, natürlich ganz im Stil der Zeit. "Japanese Sandman" wurde im Jahr 1920 publiziert. Die absteigende Nonen-Chromatik war also 1929 bestenfalls bedingt modern. Mir scheint es durchaus möglich, dass Jelly sich bei diesem Vorspiel bedient und es zur Grundlage seiner Komposition gemacht hat. Damit eröffnet sich auch ein ganz anderes Zeitfenster. Morton kann "Freakish" durchaus schon Jahre vor der Einspielung 1929 geschaffen haben. Oder er hat es, wie so oft, kurzfristig aus mehreren Bausteinen zusammengesetzt. "Freakish" als eine unmittelbare Antwort auf die Entwicklung des zeitgenössischen Jazz der späten 20er Jahre zu verstehen, erscheint mir jedenfalls kaum schlüssig........

www.ok-jazzband.de - CD: Tribute to Jelly Roll Morton (iTunes, Amazon).

Soviel für heute.
Herzlich Euer
Heribert von Stomp


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