Samstag, 17. Mai 2014

Jelly Roll und Wingy Manone

Hallo Freunde,

lange Zeit hiess es, Jelly Roll Morton habe nach Auslaufen seines Vertrages mit der Victor-Company 1930 lange Jahre kein Studio mehr betreten. Bekanntlich waren seine beiden letzten Einspielungen in der Victor-Zeit "Gambling Jack" und "Fickle Fay Creep" am 09. Oktober dieses Jahres. Danach wurde es still um ihn. Er geriet mehr und mehr in Vergessenheit. Auch ich hatte viele Jahre geglaubt, Morton`s Aufnahmekarriere habe erst 1938 ihre Fortsetzung gefunden - bis mir eine CD mit dem Titel "Jelly Roll Morton - Rarities & Alternates." in die Hand fiel. Sie enthält 16 Titel, die in der Tat teilweise nicht so ohne weiteres zugänglich sind. Und dort fand ich mit den Tracks Nr. 10 und Nr. 11 zwei Aufnahmen vom 15. August 1934. Morton agiert dort nicht als Bandleader, sondern als Pianist eines anderen Ensembles: "Wingy Manone and his Orchestra". Es handelt sich um die Titel "Never Had No Lovin`" und "I`m Alone Without You". Bemerkenswert, dass es eine Besetzung aus weissen und aus dunkelhäutigen Musikern war, im Jahr 1934 noch keineswegs eine Selbstverständlichkeit: Wingy Manone (tp), Dickie Wells (tb), Artie Shaw (cl), Bud Freeman (ts), Jelly Roll Morton (p), Frank Victor (g), John Kirby (b) und Kaiser Marshall (dr). Also eine Versammlung illustrer Namen. Die beiden Kompositionen wirken eher uninspiriert, konventionell. Es gibt aber Besonderheiten: Wingy, der einarmige Trompeter, nennt zu Beginn des ersten Titels die Namen der Musiker. Das ist schon ungewöhnlich. Interessant auch, den jungen Artie Shaw mit einem 16-Takte-Solo zu hören. Morton hat kein Solo. Im Hintergrund blitzen aber wiederholt für ihn typische Phrasen auf. Im zweiten Titel dagegen hat Morton ein 16-Takte-Solo. Es wirkt auf mich ein wenig hektisch im sonst eher gelassenen Duktus seiner musikalischen Umgebung. Ich glaube, dass Jelly hier nicht so konnte wie er wollte. Denn offenbar war es Vorgabe, sich solistisch eng an der Melodielinie zu orientieren. Das wird eingangs beim Guitarren-Solo sehr deutlich und eben auch beim Piano-Solo. Morton hat versucht, diese Einengung aufzulockern, indem er die Melodienoten verdoppelte. Das war ein Ansatz, das kommerzielle Stück jazziger zu machen, führt aber auch zu dem beschriebenen hektischen Eindruck. Der Komponist Estes nimmt hier übrigens im Mittelteil ganz ungeniert eine Anleihe bei Fats Waller`s berühmtem "Ain`t Misbehavin`".
Ich habe mich jedenfalls gefreut, diese Tracks meiner Sammlung hinzufügen zu dürfen. Es sind zwar keine Morton-Highlights, aber auf ihre Art lassen sie erkennen, dass Jelly sich auch in der Zeit, in der er - fast - gar nicht im Studio war und deshalb seine Kreativität für die Nachwelt nicht dokumentiert wurde, sich selbst treu geblieben war......

www.ok-jazzband.de - CD "Tribute to Jelly Roll Morton" (amazon, iTunes)

Soviel für heute.
Herzlich Euer
Heribert von Stomp

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