Samstag, 9. November 2013

Shoe Shiner`s Drag

Hallo Freunde,

zu Beginn des Jahres 1928 ging Jelly Roll Morton bekanntlich von Chicago nach New York. Er reihte sich damit in den Treck von Musikern ein, die erkannt hatten, dass die neue Metropole des Jazz am Hudson River lag. Chicago trat immer mehr ins zweite Glied zurück. In der historischen Entwicklung des Jazz allerdings gab es einen entscheidenden Unterschied. Als Morton, Oliver, Armstrong und andere in Chicago Fuß fassten, waren sie Pioniere, die mit ihrer begeisternden Musik die Stadt in ihren Bann zogen. Als diese Pioniere nach New York wechselten, trafen sie auf eine bereits blühende Jazzszene, die nicht nur ihre eigenen Stars hatte, sondern auch stlistisch auf neuen Wegen war. Jelly Roll Morton und Joe "King" Oliver mussten versuchen, sich ihren Platz zu erkämpfen und scheiterten dabei auf schon tragisch zu nennende Weise. Beide konnten sich in New York nicht halten. Dabei produzierten sie eine Reihe von beachtlichen Einspielungen. Zwar wird häufig gesagt, dass diese Titel qualitativ hinter den Aufnahmen der Chicagoer Zeit zurück geblieben seien. Dies ist aber eine historisierende Sichtweise, die die Einspielungen späterer Jahre am Ideal des "klassischen" New-Orleans-Jazz misst. Tatsächlich bemühten sich Morton und Oliver natürlich, mit den neuen Entwicklungen Schritt zu halten und in deren Rahmen eigene Akzent zu setzen.Von daher ist auch die immer wieder zu lesende Darstellung problematisch, Morton habe in New York nicht die passenden Interpreten für sein musikalisches Konzept gefunden. Diese Feststellung wäre nur dann richtig, wenn zwischen seinen Vorstellungen und ihrer Umsetzung eine erkennbare Diskrepanz oder sogar ein Widerspruch bestünde. Tatsächlich aber waren die jungen Musiker, mit denen Jelly in New York arbeitete, durchaus in der Lage, moderne Interpretationen seiner Werke abzuliefern, ohne sie dabei zu verfälschen. Eines dieser gelungenen Beispiele ist für mich der "Shoe Shiner`s Drag". Es handelt sich dabei um eine nur wenig veränderte Version des "London Blues", den Morton 1923 während seiner Chicagoer Zeit eingespielt hatte.
Vor allem dank des innovativen Spiels des Trompeters Ward Pinkett wird daraus eine beinahe schon impressionistisch wirkende Klanggirlande von quirliger Leichtigkeit, die die fünf Jahre zurück liegende Chicagoer Aufnahme deutlich hinter sich lässt. Der spielerisch-tändelnde Umgang mit Konzept und Material des New-Orleans-Jazz macht deutlich, dass die Musiker nach Möglichkeiten suchten, beides in Einklang mit den neuen Auffassungen des Jazz in zu bringen. Auch Morton selbst zeigt sich als Suchender, der bald  schon zu der Einsicht kommt, dass er sich von den herkömmlichen Rezepturen verabschieden muss, wenn er in der sich verändernden Welt des Jazz weiter eine herausragende Rolle spielen will. Für sich selbst hatte er einen Klavierstil entwickelt, der sich deutlich von den Aufnahmen der Chicagoer Jahre unterscheidet. So ist der "Shoe Shiner`s Drag" ein produktives Werk des Übergangs, das es später in der Version von Lionel Hampton sogar zu einem veritablen Hit der Swing-Ära brachte......

www.ok-jazzband.de
CD "Tribute To Jelly Roll Morton" (iTunes, amazon, spotify))

Soviel für heute.
Herzlich Euer
Heribert von Stomp

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen