Sonntag, 10. Januar 2016

Blue Blood Blues

Hallo Freunde,

es heißt ja immer wieder, dass Jelly Roll Morton nach den berühmten Aufnahmen mit seinen "Red Hot Peppers" 1926 und 1927 in Chicago nicht mehr allzuviel an gelungenen Einspielungen geglückt sei. Auch in dieser Beziehung sei sein Wechsel von Chicago nach New York 1928 ein "fatal move" gewesen. Selbst die besseren Morton-Aufnahmen reichten nicht an das Niveau der letzten Chicago-Zeit heran, heißt es.
Und trotzdem: ich meine, auch bei den späteren Sessions kam so manches sehr gute Ergebnis heraus. Man muß sich die Aufnahmen allerdings unvoreingenommen angehören, darf also nicht im Hinterkopf die Platten der "Red Hot Peppers" aus der Chicagoer Zeit haben. Das ist natürlich nicht ganz einfach.
Jetzt in den ersten ruhigen Tagen des Jahres 2016 habe ich mir mal wieder den "Blue Blood Blues", eine Morton-Aufnahme vom 14. Juli 1930, zu Gemüte geführt. Vielleicht hat mich der Titel gereizt. Denn er könnte als Anspielung auf Morton`s Selbstverständnis als "Mr. Jelly-Lord" verstanden werden. Allerdings drückt sich in dem Stück nicht die lärmende Selbstanpreisung des Meisters aus früherer Zeit aus. Der "Blue Blood Blues" besticht im Gegenteil durch seine dezente Zurückhaltung. Das Wort "Blue" gewinnt somit eine weitere, im Zusammenhang mit dem Blues natürlich immer wieder vorkommende Bedeutung: "Blue Mood".
Vielleicht überinterpretiere ich den Titel, wenn ich sage, dass sich hier exemplarisch die Stimmung der Depressionszeit in den USA, die auch für Morton eine Zeit des rasanten Abstiegs war, spiegelt.
Jedenfalls beginnt das Stück mit zwei sehr gefühlvollen 8-taktigen - insofern ist der "Blue Blood Blues" formal kein Blues - Klarinettenchorussen von Albert Nicholas. Es folgen die nicht ganz so tiefdringenden Chorusse (jeweils 8 Takte) von Geechie Fields (Posaune) und Howard Hill (Guitarre). Dann kommt für mich ein weiterer Höhepunkt: die beiden Chorusse des Trompeters Ward Pinkett (auch sie wie durchgängig im "Blue Blood Blues" 8 Takte). Das Stück erfährt hier eine dezente Steigerung durch die unterlegten Töne der beiden anderen Bläser. Im zweiten Chorus befreit sich die Klarinette ein wenig und wagt ganz dezente Einwürfe.
So vorbereitet, wird das unbegleitete Piano-Solo von Morton für mich zum Gipfel. In ihm kulminiert der zuvor aufgebaute Spannungsbogen und löst sich zugleich zum nachfolgenden und abschließenden Kollektiv in New-Orleans-Manier auf. Wie Morton dies mit scheinbar einfachen Mitteln erreicht, ist wirklich meisterlich. Es erinnert mich an den "Smoke-House-Blues" aus dem Jahr 1926. Auch dort bescheidet sich Jelly mit einem scheinbar einfachen, impressionistisch dahingetupften Solo, das dann in die Kollektivimprovisation mit dem berühmten verlängerten Schluß mündet.
Das soll genug sein von meinen mit dem "Blue Blood Blues" verbundenen Eindrücken. Denn für die Musik gilt ja immer noch: selbst hören bringt mehr als tausend Worte.............

www.ok-jazzband.de
CD "Tribute to Jelly Roll Morton" (amazon, iTunes, spotify)

Soviel für heute.
Herzlich Euer
Heribert von Stomp

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