Freitag, 17. Februar 2017

Mobile Blues

Hallo Freunde,

ich frage mich ja manchmal, weshalb es bestimmte Titel zu Jazzstandards gebracht haben und umgekehrt andere wiederum nicht. Ich glaube, dass ein Kriterium nicht unterschätzt werden darf: es kommt häufig darauf an, welcher Musiker oder welche Band ein Stück im Repertoire hatte und es - im positiven Fall - schon dadurch adelte. So manche von Joe Oliver oder Louis Armstrong aufgenommene Stücke sind in ihrer Struktur und Melodieführung nicht unbedingt Solitäre. Weil beide Musiker aber in den 20er Jahren mit ihren Einspielungen stilprägend für die weitere Entwicklung des Oldtime-Jazz waren, wurden diese Titel entsprechend tradiert und erfreuten sich großer Beliebtheit bei den nachfolgenden Generationen. Kompositionen, die von Musikern oder Bands aus der zweiten Reihe aufgenommen wurden, blieben dagegen häufig auf der Schattenseite.

Ich denke da etwa an den "Mobile Blues". Als Copyright-Jahre werden 1923 bzw. 1924 angegeben.
Der "Mobile Blues" ist eine, wie ich finde, hübsche, wenn auch - zugegeben - nicht eben geniale Nummer. Aber zur Originalität als Kriterium für die Chance, Jazzstandard zu werden - siehe oben.
Der "Mobile Blues" hat eine für die Zeit häufig anzutreffende Zwitterstruktur. Er beginnt mit einem zwölftaktigen Bluesteil von zwei Strophen. Der Text hat - ebenfalls nicht ungewöhnlich - nicht die bluestypische A-A-B-Struktur, sondern eine A-B-C-Form. Dann folgt ein 32-taktiger sehr einfacher, um nicht zu sagen schlicht wirkender Chorus in A-A-B-A-Struktur. Mit seinen meist halben oder ganzen Noten eignet er sich aber gut als Trompeten-Lead-Stimme oder für die Übernahme als Posaunen-Solo. Den dritten Part schließlich bildet ein zweimal 8-taktiger Zwischenteil, bestehend aus einem 4-taktigen riffartigen und entsprechend satzartig angelegtem Element, das in einen weiteren 4-taktigen Teil übergeht, der zu kollektiver Improvisation anregt. Dieses Intermezzo erzeugt die nach der getragenen Melodieführung des vorausgegangenen Chorus notwendige dynamische Spannung.

Als Autoren des "Mobile Blues" werden Fred Rose und Albert E. Short genannt. Fred Rose, geboren 1897 oder 1898 in Indiana, lebte einige Jahre in Chicago, arbeitete dort als Sänger und spielte Piano-Rollen ein. Oldtimefans ist er als Co-Autor des Titels "Deed I Do" bekannt. Seine Berührung mit dem Jazz blieb aber temporär. Später wurde er vor allem als Country-Songwriter berühmt.

Über Albert E. Short ist in Bezug auf den klassischen Jazz fast nichts bekannt. Der Geiger leitete die "Tivoli Syncopators", das Hausorchester des Tivoli-Filmtheaters in Chicago. Ein Foto aus dieser Zeit zeigt eine veritable 14-Mann-Band, der aber offenbar keine ausgewiesenen Jazzmusiker angehörten. Das Tivoli befand sich an der Cottage Grove Avenue und war nicht irgendein Theater. 1921 erbaut, war es mit 4500 Plätzen der größte Unterhaltungspalast in Chicago, eine Attraktion der Zeit. Im Februar 1923 platzierten die Melrose-Brothers ihr Musikgeschäft einschließlich Verlag gegenüber dem Tivoli. In das Programm ihres Musikverlages nahmen sie auch den "Mobile Blues" auf.

Hier verknüpfen sich die Fäden. Die Melrose-Brothers Walter und Lester wollten ihre Titel populär machen. Das Tivoli mit Band und viel Publikum war dafür eine ideale Plattform. Sie erreichten es, dass Albert E. Short im März mit seinem Orchester den "Wolverine Blues" und im Mai den "Sobbin` Blues" aufnahm, zwei der drei ersten großen Hits des Verlags (der dritte Hit war der "Tin Roof Blues"). Vielleicht als Gegenleistung und/oder auch in der Hoffnung, einen weiteren guten Deal über das Tivoli landen zu können, kam der "Mobile Blues" in den Katalog.

Aber die Dinge entwickelten sich anders. Jedenfalls ist mir keine Aufnahme des "Mobile Blues" durch Albert E. Short bekannt. Stilprägende Musiker der Jazzszene konnten sich auch nicht für den Titel erwärmen. Und so blieb nur die zweite Reihe. Eine Klavierausgabe des "Mobile Blues" nennt vier Bands bzw. Musiker, die den Titel damals einspielten: die "Bucktown Five", die "Original Memphis Five", "Jimmie Wade`s Moulin Rouge Orchestra" und den Klarinettisten Boyd Senter - alle nicht unwichtig für die Geschichte des frühen Jazz, aber eben nicht die erste Garnitur.

Ich überlege, was aus dem "Mobile Blues" wohl hätte werden können, wenn "King" Oliver, Louis Armstrong oder Jelly Roll Morton sich seiner angenommen hätten. Aber das bleibt Spekulation.....

www.ok-jazzband.de

Soviel für heute.
Herzlich Euer
Heribert von Stomp




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